Rede zur Vernissage „Low Budget“

des BBK Lüneburg am 15.11.2009 im Heinrich-Heine-Haus, Am Ochsenmarkt 1

Sehr geehrte Frau Preuss,

liebe Eva Schneider, Freunde des BBK, Liebhaber der Kunst und ganz besonders liebe Künstlerinnen und Künstler!

Gewissermaßen eingeflogen aus der Ferne, nämlich vom BBK Hamburg, und mit einer absoluten Redefreiheit ausgestattet, eröffne ich diese mit „Low Budget“ betitelte Ausstellung des Lüneburger BBK freudig erregt und herzlich. Da es sich verbietet, aus der Fülle der Ausstellenden einzelne herauszustellen und damit die anderen ungewollt zurückzusetzen, spreche ich nicht über die hier präsentierten Kunstwerke, sondern über den mit dieser Ausstellung beabsichtigten Zweck. Die Hemmschwelle, die das Publikum davor zurückschrecken lässt, Kunstwerke, in die man sich verliebt hat, privat anzueignen und mit zu sich nach Hause zu nehmen, besteht – neben anderen Gründen – im Preis. Hier und heute im Heinrich-Heine-Haus haben wir es mit Niedrig-Preisen fürs kleinere Kunst-Budget zu tun. Was aber, wenn ein solches Budget bei den Besuchern gar nicht besteht? Ich sehe nun meine mir selbst für diese kurze Rede gestellte Aufgabe darin, für die Einrichtung eines solchen zu werben und es vielleicht sogar mit dem heutigen Tag zu eröffnen.

Sehen Sie, ich bin selbst Künstler, male mir also meine Bilder eigentlich selber. Warum also sollte ich anderer Künstler Bilder erwerben? Wird denn ein Bäcker, überzeugt davon, die feinsten Brötchen weit und breit zu backen, die für den eigenen Verzehr benötigten beim Konkurrenten kaufen? Und dazu noch die Handelsspanne bezahlen, die beim Essen eigener Brötchen entfiele?

Ich will Ihnen etwas verraten: Ich habe mir dennoch eine kleine Sammlung fremder Brötchen resp. Kunst zugelegt und dafür im Laufe der Jahre rund … 10 000 € ausgegeben, die für immer perdu sind; denn ich denke nicht ans Verkaufen. Sie liegen zum kleineren Teil in Mappen, zum größeren zieren sie die Wände eines Zimmers bis zur Decke.

Ökonomisch betrachtet sind die Geldausgaben für meine Kunstsammlung Unsinn. Es ist Jux und Tollerei von mir, reinstes unproduktives Konsumieren. Freude um der Freude willen. (Allerdings im Unterschied zum Geldverjubeln in der Gastronomie bleiben die Kunstwerke/Genussbringer dauerhaft erhalten.)

Aber es kommt noch schlimmer. Wie schon erwähnt, erzeuge ich selbst Kunstwerke. Das kostet! Wenn ich als Geldwert zusammenzählen würde, was ich im Laufe der Jahrzehnte für Material und Dienstleistungen, für  Ateliermieten, für entgangene Einkünfte in diese – allerdings höchst befriedigende und mir wichtig erscheinende – Produktion gesteckt habe und das mit den Einnahmen durch Verkäufe verrechne, dann bleibt – jedenfalls bei mir, andre mögen eine günstigere Rechnung aufstellen können – ein Minusbetrag im Gegenwert einer kleinen Eigentumswohnung.

Nicht dass ich mir kein positives Saldo wünschte! Doch es hat nicht sollen sein, dass ich zu den auf den Kunstmärkten sich tummelnden Großkünstlern gehöre. Bitte nicht falsch verstehen: Ich beklage mich nicht; denn: Unterm Strich bleibt Zufriedenheit, ich würde dieses Negativ-Geschäft immer wieder beginnen, weil es ein Haben auf ganz anderen Konten ergibt – auf einem Sinn-Konto, auf den Konten namens Wichtigkeit, Sinnlichkeit, Lust, geistige Entäußerung und was der Konten mehr sind. Kunst machen ist mir, wo nicht das Leben selbst, so doch das Leben Strich, ein zweites Leben, das mit dem anderen, dem sogenannt realen, aufs engste verflochten ist. Indem ich das so sage, ertappe ich mich dabei, eine fast schon religiöse Figur – „Seelenheil“, „nicht von dieser Welt“ – zu formulieren, wo ich doch im Grunde areligiös bin.

Mein Appell an die noch nicht Bekehrten: Richten auch Sie sich – und damit meine ich vor allem diejenigen unter Ihnen, die Kunst mehr rezipieren als produzieren – ein solches Sinn-und-Lust-Konto ein! Gönnen Sie sich den Spaß! Heute ist Sonntag. Eine Sonntagsrede ohne Zitate großer Männer gerät in die Gefahr, zur Alltagsrede hinabzusinken. Ich entscheide mich für einen Lebenden, dessen Bekanntheit ich hiermit ein wenig steigern helfe, und einen Klassiker. Den ersten kennen nur wenige, vielleicht die, welche das letzte Philosophische Quartett des ZDF mit Herrn Sloterdijk gesehen haben (im Internet als Podcast vorhanden und von mir wärmstens empfohlen, obwohl die Thematik mit Kunst nichts, mit Wirtschaft und Geld umso mehr zu tun hat.) Der erste Name also: Gunnar Heinsohn. Und als Klassiker wähle ich den Namensgeber des gegenwärtigen Schillerjahres.

Das natürlich aus dem Zusammenhang gerissene Heinsohn-Zitat lautet, wobei wir uns unter dem Wort „Produkte“ Kunstwerke vorstellen dürfen:

„Die Produkte müssen mit einem Preis bewertet werden, der zumindest der geschuldeten Summe aus Kapital und Zins sowie der Summe aus Faktormenge multipliziert mit ihren Kosten entsprechen muß. Es ist diese besondere monetäre Produktion, die zu Waren und nicht lediglich zu physischen Gütern führt. Sie sorgt dafür, daß der Unternehmer nicht an einer Güterproduktion per se, an bloßen Mengen also, interessiert sein darf, sondern an mit Geldpreisen gemessenen Produktwerten, erzielbaren Geldsummen mithin.“

Dieses hier genannte Kostendenken ist nichts Verächtliches, es ist unerlässlich für erfolgreiches Wirtschaften in einer Eigentumsgesellschaft – zu der es übrigens ohne Verzicht auf persönliche Freiheit keine Alternative geben kann. Bei der Kunst ist es zu großen Teilen außer Kraft gesetzt; denn erfolgreich am Kunstmarkt partizipieren höchstens 5 % der gegenwärtigen Künstler in Deutschland. 95 % arbeiten demnach ökonomisch verfehlt.

Kunst zählt mit einem gewaltigen Anteil zur Sphäre des Überflüssigen. Ob das Überflüssige sich als unnötig, unnütz, beliebig oder aber als sinnstiftend, genussbringend, lebensnotwendig erweist, steht nicht von vorneherein fest, es erweist sich im Einzelfall. Da sind ästhetische Empfindsamkeit und Urteilsfähigkeit des Publikums gefragt.

Der Klassiker Schiller siedelt Kunst im Bereich des Spiels an, er meint sogar, der Mensch sei erst da ganz Mensch, wo er spielt, d.h. wo er ohne äußere Not und Fremdbestimmung seine geistigen Kräfte entfaltet. In der Natur sieht er gleichnishaft diese Verschwendung. Zum Abschluss meiner Rede nun das Klassiker-Zitat:

„Mit frohem Leben schwärmt das Insekt in dem Sonnenstrahl; auch ist es sicherlich nicht der Schrei der Begierde, den wir in dem melodischen Schlag des Singvogels hören. Unleugbar ist in diesen Bewegungen Freiheit, aber nicht Freiheit von dem Bedürfnis überhaupt, bloß von einem bestimmten, von einem äußern Bedürfnis. Das Tier arbeitet, wenn ein Mangel die Triebfeder seiner Tätigkeit ist, und es spielt, wenn der Reichtum der Kraft diese Triebfeder ist, wenn das überflüssige Leben sich selbst zur Tätigkeit stachelt. Selbst in der unbeseelten Natur zeigt sich ein solcher Luxus der Kräfte und eine Laxität der Bestimmung, die man‘ in jenem materiellen Sinn gar wohl Spiel nennen könnte. Der Baum treibt unzählige Keime, die unentwickelt verderben, und streckt weit mehr Wurzeln, Zweige und Blätter nach Nahrung aus, als zur Erhaltung seines Individuums und seiner Gattung verwendet werden. Was er von seiner verschwenderischen Fülle ungebraucht und ungenossen dem Elementarreich zurückgibt, das darf das Lebendige in fröhlicher Bewegung verschwelgen. So gibt uns die Natur schon in ihrem materiellen Reich ein Vorspiel des Unbegrenzten und hebt hier schon zum Teil die Fesseln auf, deren sie sich im Reich der Form ganz und gar entledigt. Von dem Zwang des Bedürfnisses oder dem physischen Ernste nimmt sie durch den Zwang des Überflusses oder das physische Spiel den Übergang zum ästhetischen Spiele, und ehe sie sich in der hohen Freiheit des Schönen über die Fessel jedes Zweckes erhebt, nähert sie sich dieser Unabhängigkeit wenigstens von ferne schon in der freien Bewegung, die sich selbst Zweck und Mittel ist.“

In diesem Sinne: Spielen Sie, kaufen Sie Kunst! Verschwelgen Sie Ihre Kräfte und die der Künstlerinnen und Künstler!

Hier sind die roten Punkte, Frau Preuss.