Heinrich Schilinzky

Rede zur Ausstellungseröffnung Heiner Studt – Januar 1997

Liebe Gäste, liebe Freunde von Heiner Studt!

Eine Szene aus dem Leben des Menschen Heiner Studt:

Hospitation. Es geht um die Übernahme als Lehrer oder Entlassung aus dem Schuldienst. Der Schulrat verkündet nach der Stunde: die Leistung des Unterrichtenden war ungenügend. Darauf spricht Heiner, weiß vor Erregung, 5 Minuten lang über seine Stunde und erklärt, warum sie gut war.

Alles schweigt.

Nach wenigen Tagen kommt der Brief: Heiner Studt wird in den Schuldienst übernommen.

So kenne ich Heiner Studt: unbeugsam in seiner Rechtlichkeit.

Und dann lernte ich hinter dem Menschen den Künstler Heiner Studt kennen und merkte dabei, dass beides unauflöslich miteinander verbunden ist:

Damals wußte ich noch nicht, dass für den jungen Heiner Studt in Jena die Kunst die große Verheißung von Freiheit und Kreativität gewesen war, die ihn dann über Berlin schließlich an die HBK in Hamburg brachte. Bei Thiemann und Wunderlich holte er sich eine gute zeichnerische Grundausbildung, von Hausner schließlich als junger Star lanciert, wendet er sich aber von der von ihm als parfümiert empfundenen Kunstszene bereits wieder ab und beginnt ein Zweitstudium, Pädagogik wohlgemerkt und nicht Kunstpädagogik, um beides nicht zu vermengen.

Ja, aber das konnten wir damals im GEW-Kunstausschuß noch nicht so klar sehen, wir, die wir vehement dabei waren, „die Gesellschaft nicht nur zu interpretieren, sondern sie zu verändern.“ Wir merkten zwar, dass Heiner mit Freunden nach gründlicher Inspektion der politischen Landschaft in Hamburg das Sozialistische Büro gegründet hatte, wir machten mit, als Heiner fast allein gegen den Rest der Welt einen Kongreß aufzog für eine Kultur von unten, der wohl auch „Tuten und Blasen“ zuzurechnen ist. Das Saxophonspiel erlernen und mit-tuten und -blasen: das war für Heiner eins.

Als bildender Künstler sollte Heiner Studt in der Folge deutlicher in unser Bewußtsein treten. Mit der ihm eigenen Energie brachte er es zu einem schönen großen Atelier und zu einer schönen kleinen Familie, denn das brauchte er für das, was er in der Folgezeit entwickelte, und was wir hier vor uns sehen: große Bildformate in einer mehrschichtigen graphischen Bearbeitung, die doch eindeutig den Charakter von Unikaten haben. Ich denke, dass Heiner Studt in einem Vorgriff auf seinen ersten unverkennbar persönlichen künstlerischen Stil sich die Produktionsmittel Fotografie, Reproduktions-Fotografie und Offsetdruck angeeignet hat. Er wurde dann sozusagen der Erfinder der Offset-Monotypie.

Ich werde nun versuchen, dieses technische Verfahren zu erklären und gleichzeitig nachzuweisen versuchen, dass es den Stadien seiner Bildproduktion entspricht, die wiederum sein Wirklichkeitsverständnis repräsentieren.

Heiner Studt interessiert sich für alles, was in der Wirklichkeit sichtbar auf historische Prozesse hinweist: das zu dokumentieren ermöglicht die Fotografie. Was aber, wenn das Foto die Prozesse nicht preisgibt, die hinter der Erscheinungswirklichkeit verborgen sind? Die fotografische Vorlage wird vergrößert und auf kleine Offsetfolien kopiert. Dann aber werden die Druckfolien nicht in der Offsetmaschine mechanisch abgedruckt, sondern auf die Leinwand gelegt und durchgerieben: Monotypie! Jetzt kann betont und abgeschwächt werden, und es kann diese besondere silbrige Patina entstehen, die für Heiner Studts Offset-Monotypien so typisch ist. Jedoch gestattet die Monotypie natürlich auch eine weitergehende grafische Bearbeitung, um Spalten, Bruchkanten, Narben zu realisieren und in einem letzten, freien Durchgang handschriftliche Linien und Schraffuren, leichte Tönungen und sogar Collagen einzusetzen.

Wenn man so will, ist sein Generalthema die Ruine, die wir Menschen mehr noch als die Zeit verursachen. Bei seinen architektonischen Motiven ist man an das Wort von Bert Brecht erinnert: „Von diesen Städten wird bleiben, der durch sie hindurchgeht – der Wind“.

Aber auch an einen anderen Meister künstlerischer Grafik fühlt man sich erinnert:  an Giambattista Piranesi, den Kupferstecher und Meister der antiken Ruinen Roms.

Aber welch ein Unterschied zwischen beiden Künstlern!

Piranesi sieht die römische Antike als Teil nationaler Geschichte; er gibt Kunde von ihr in ungezählten grafischen Blättern zum Ruhme des ewigen Rom!

Wir Heutigen haben wenig aus unserer jüngeren Geschichte zu rühmen. Wohl aber sind wir erfaßt von der Vermischung von Zerstörung und Wiederbeginn in labyrinthischer Verflechtung.

Davon Zeugnis abzulegen ist eine der ganz starken Intentionen in der Bildproduktion von Heiner Studt.  Dazu besuchte er die Mauer zu einem Zeitpunkt, wo noch Reste zu dokumentieren waren. Dazu setzt er sich aufs Fahrrad und fährt das berüchtigte Dreieck ab, in dem zur höheren Ehre des real existierenden Sozialismus jener perfide Gestank von Chemie und Briketts vorherrschte, der manchen von uns an Reisen von Bitterfeld bis Leningrad erinnert.

In dieser Ausstellung ist als Ergebnis dieser Reise in einzelnen Tafeln präsentiert, was hoffentlich auch noch zu einem Buch werden wird.

Ansichtskartenartig sind die Erträge dieser Reise angeordnet und mit Texten versehen. Heiner Studt liebt es, in seiner Buchproduktion wie auch hier die Abbildungen mit Texten zu versehen. Die Texte sind eher Paraphrasen als Beschreibungen des Bildmaterials.

Die Textspur repräsentiert einen Ausschnitt aus einer Erzählung, der das beschreibt, was das Bild nicht beschreiben kann: den Geruch, der wie gesagt, sich so unauslöschlich einprägen kann.

Bei der Erzählung von Wolfgang Hilbig „Alte Abdeckerei“ handelt es sich um eine labyrinthische Parabel, ohne Zweifel stark von James Joyce beeinflußt: ein Junge erkundet auf abendlichen Stöber-Touren ein Flüßchen, wobei er der Quelle eines immer stärker wahrnehmbaren Geruchs nachgeht, bis er an den Ursprung der Verpestung des Flüßchens vordringt, einer Abdeckerei mit dem bezeichnenden Namen „Germania II“, an deren Rampe die Tiere brutal ausgeladen und in die „Entsorgung“ getrieben werden.

Veränderung des Bestehenden ist in Heiner Studts Werk ein durchgängiges Motiv: im architektonischen und landschaftlichen Bereich werden historisch-politische Kräfte angezielt, im Bereich des Organischen seiner anatomischen Vorlagen und Tierschädel-Motive ist es das „Memento Mori“ alles Lebenden.

Dass diese Ausstellung uns also hineinstellt in die Vielschichtigkeit unserer Zeit ist etwas, was man zur Zeit nachgerade nicht von vielen Ausstellungen sagen kann.

Wer Heiner Studt kennt, weiß, dass er trotzdem alles andere als ein Melancholiker ist. Das möge belegt sein durch den letzten Satz eines Interviews, das er einer Zeitung seiner Heimatstadt Jena* gegeben hat, und der auch der letzte dieser kleinen Einführung sein soll. Er lautet:

Zeiten des Umbruchs, wie wir sie in Deutschland jetzt erleben, sind immer zu gleichen Teilen von Trauer und Hoffnung erfüllt.

* genauer: Thüringische Allgemeine in Erfurt