Aus der Rede zur Ausstellungseröffnung
Heiner Studt „Blicke zurück und auf Jena“, 2004, Galerie Huber & Treff
Abgedruckt in BDA Thüringen, Präsentation 2005
Als mich im Frühjahr 2004 der Galerist Armin Huber aus Jena ansprach, ob ich nicht eine Rede anläßlich der Eröffnung der Ausstellung „Blicke zurück und auf Jena“ des Künstlers Heiner Studt halten möge, war ich – um es vorsichtig auszudrücken – etwas irritiert. Ich bin weder Kunstkritiker noch Kunsthistoriker. Ich bin Architekt.
Als er mir kurz Künstler, Thema und Werk erläuterte und hinzufügte:
„Du kannst ruhig etwas Privates vortragen“, schob ich mein flaues Gefühl beiseite und stimmte neugierig zu.
„Blicke zurück und auf Jena“ spricht mich in meinem eigenen Betätigungsfeld an. Unsägliche Diskussionen um eines der Hauptmotive – den Uniturm oder auf Neudeutsch „Intershoptower“ (für mich als gebürtigen Westdeutschen übrigens eine Namensgebung, die mich an billige Zigaretten erinnert) habe ich erlebt und erdulden müssen. „Der Künstler Heiner Studt ist zu beneiden“, denke ich mir bei der Betrachtung der Reihe „Jena Dominante“. Diesen Turm hätte ich mir auch gerne mal vorgenommen. Er ist das Wahrzeichen Jenas. Eine künstlerische Herausforderung, vermute ich – eine architektonische ohnehin.
Bei der Betrachtung von „Jena, Dominante I“ bis „Jena, Dominante IV“ drängen sich mir unterschiedliche Schwerpunkte auf.
Einmal die fast schon rationale Darstellung einer Baustelle – Jena Dominante I. Ich kann den Baustellenlärm hören. Die Umgebung ist ausgeblendet. Ich habe einen Ortstermin und prüfe den Zustand und Fortgang der Baumaßnahmen. Ich ertappe mich bei den Gedanken: „Noch 175 Tage bis zur Fertigstellung… Warum hat die Rohbaufirma die fehlenden Unterzüge immer noch nicht eingebaut “
Bedrohlich wirkt auf mich Jena Dominante III. Schon wieder so ein architektonisches Verbrechen. Menschenverachtende Unmaßstäblichkeit.
Die Randbebauung verkommt zur Staffage – oder zur Architekturkarikatur, die sich mit bitterem Spott neben den Neubau stellt. Der Turm erinnert an eine Darstellung des Turmbaus zu Babel. Kein Ende abzusehen….
Jena Dominante IV hingegen hat für mich etwas Heiteres. Pisa ist überall! Eine treffsichere Darstellung von: „Gewollt und nicht gekonnt“. Untenherum marode und obenherum wird der schöne Glanz der neuen Zeit übergestülpt. Ein architektonisches Highlight. Genauso sollte er dort stehen. Das wäre städtebaulich sinnvoll. Die Entwicklung einer Stadt sollte ablesbar sein. Eine Stadt muß den Mut und die Fähigkeit haben, Alt und Neu miteinander zu verbinden. Es wäre schön, wenn spätere Generationen dies wahrnehmen und fortführen könnten.
Ein Turm war und ist immer Ausdruck von Macht, Wohlstand und Überlegenheit. So hatte Ulbricht ihn sich wohl auch gewünscht.
Heiner Studts Turm hingegen wirkt auf mich in allen Darstellungen wie ein Bauobjekt, das der Architekt erst einmal auf seine Funktionsfähigkeit prüfen muß, um es anschließend hinsichtlich der geänderten Anforderungen zu überarbeiten. Eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Sichtbezüge sind zu definieren, Proportionen angemessen zu überarbeiten, und es gibt ja noch einen Nutzer, dessen Ansprüche auch zu berücksichtigen sind.
All das hat Heiner Studt meiner Meinung nach ebenfalls getan – vielleicht bis auf die Berücksichtigung des Nutzers. Ich spekuliere, daß er vielleicht selbst der Nutzer ist. Er hat ja schließlich einen Bezug zu dieser Stadt, in der er von 1945 bis 1961 gelebt hat und die er anschließend regelmäßig besucht. Er bezeichnet sich als „außenstehenden und gelegentlich teilnehmenden Betrachter“. Auch hier gibt es für mich einen persönlichen Anknüpfungspunkt: In meinen „Rückblicken“ – ich bin in diesem Jahr 10 Jahre in Jena – habe ich festgestellt, daß auch ich ein „außenstehender und gelegentlich teilnehmender Betrachter“ bin. Allerdings verdichtet sich die „gelegentliche Teilnahmen“ nun immer mehr zur „Teilnahme“. Integration ist etwas anderes…
Diese Stadt ist faszinierend – mit all ihren Widersprüchen. Mit städtebaulichen Entwicklungen, die einem die Zornesröte ins Gesicht treiben und mit ihrer wohltuenden Provinzialität, im kritiklosen Übernehmen und Fortführen ungeeigneter Strukturen und in der leidenschaftlichen Diskussion um das Schließen von alten Wunden. Eben so, wie ich diese Stadt, bzw. einen Teil davon, auf Heiner Studts Grafiken wahrnehme.
Und es interessiert mich immer noch: Was bewegt die Menschen dieser Stadt, wenn sie zurückblicken, und natürlich, wenn sie heute diesen Turm betrachten ?