Berlin 1990 – So viel Anfang

 Große Giclèe-Drucke von 2015 und kleine Giclée-Drucke von 2011

Begleittext für das Publikum in Sarajevo, November 2015

Am 9. November 1989 durchbrachen Menschen aus Ost-Berlin in einem einmaligen historischen Moment der Verunsicherung des DDR-Regimes die Berliner Mauer und strömten in einem Gefühl der Euphorie in den westlichen Teil der Stadt. Elf Monate später, am 3. Oktober 1990, wurde das Ende des kommunistisch regierten Staates auf deutschem Boden durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland besiegelt. Zwischen diesen beiden Daten, da die DDR formal noch existierte, aber doch schon eine andere war als vorher, in der ihre Währung mit der D-Mark im Verhältnis 1:2 konvertierbar wurde und Reisefreiheit in Deutschland herrschte, entschied ich mich mit meiner Partnerin Manuela dafür, unseren Sommerurlaub in Berlin zu verbringen. Wir nutzten die Wohnung einer Freundin im Stadtteil Kreuzberg. Dieses bisherige Randquartier West-Berlins lag plötzlich inmitten der geöffneten Stadt. Mit unserem am 29. März – also in der Wendezeit – geborenen Sohn im Körbchen, durchstreiften wir per Fahrrad eine wüste Landschaft, die sich wie eine Schneise quer durch die Großstadt zog. Die ehemals „modernste“ Grenzanlage der Welt mit Todesstreifen, Hunde-Laufanlage, Flutlicht in der Nacht, einer doppelten Betonmauer, Stacheldrahtzaun, Minen und patrouillierenden Grenzsoldaten mit Schießbefehl, war nun ein ödes Stück Land, bestehend aus märkischem Sand und ungefährlich gemachten Restbeständen der einstigen Überwachungstechnik.

Mir war klar, dass diese irrwitzige Landschaft so nur kurzen Bestand haben würde. Und tatsächlich ist sie heutzutage nach den Bebauungen des letzten Vierteljahrhunderts nicht mehr aufzufinden: Die Stadt ist über sie hinweg- und zusammengewachsen. Der Verlauf des früheren „antifaschistischen Schutzwalls“ ist nur dort noch zu erkennen, wo Gedenkstätten ihn markieren.

Fürwahr ungewöhnliche Urlaubsfotos schossen wir damals im Juli 1990 in Berlin! Sie dokumentieren das Ende einer unnatürlichen Teilung der Stadt und des Landes, zugleich bilden sie die tabula rasa des Neuanfangs ab. Was Todesstreifen war, wurde nun Bauland und Stadtplanungsland. Diese städtische Wüste war zugleich ein Tableau für Zukunftsphantasien.

Der Rück-Blick nach 25 Jahren stimmt wehmutsvoll. So viel Anfang war damals! So viel Hoffnung! – Doch nicht alle Blütenträume reiften, weder in Deutschland noch in Europa und der Welt. Der Jugoslawienkrieg war ein erster schlimmer Dämpfer für unsere Euphorie.

Unser drei Monate altes Baby, das wir durch diese bedeutungsschwangere Landschaft kutschierten, erschien uns wie ein Symbol des Neuanfangs in Deutschland. Heute ist dieses „Kind“ 25 Jahre alt, so alt wie die neue deutsche Einheit.

Die hier von mir präsentierte Ausstellung wirft einen romantisch geprägten Blick auf einen historischen Moment, der mit froher Erwartung aufgeladen war. In meinem Verständnis sind es „schöne“ Bilder.

In der Aufbruchszeit des Jahres 1990 war ein scheinbar unrealistischer Traum wahr geworden: Die Berliner Mauer, die mich seit ihrem Bau am 13. August 1961 – ich war zwei Monate vorher als 18-Jähriger in den Westen gegangen – von den Verwandten und Freunden in der DDR getrennt hatte, war noch zu meinen Lebzeiten gefallen. Alles würde jetzt besser werden: kein kalter Krieg mehr, weltweite Abrüstung, Entspannung von Konflikten überall, Streben nach Glück und Wohlstand statt Kampf um Macht und Herrschaft von Ideologien. So hofften wir. Das wünschten wir uns.