im Rahmen der Ausstellung „Blicke zurück und auf Jena“, 2004
Warum ich Renate Feyl zu einer Lesung im Rahmen meiner Ausstellung einlade
Renate Feyl, die heute in Berlin lebende Autorin so bekannter Bücher wie „Die profanen Stunden des Glücks“ oder „Das sanfte Joch der Vortrefflichkeit“, hat ihre Kindheit ebenso wie ich, und zwar zur gleichen Zeit, in Jena verlebt. Ich kannte sie, die zwei Jahre Jüngere, als Kind, sie lebte in der Nachbarschaft im Kernbergviertel, und ihre Schwester war mit mir in der ersten Klasse. Später zog sie – und das wird in dem Roman „Ausharren im Paradies“ auch beschrieben – ins Westviertel. Dennoch blieb in dem überschaubaren Jena ein gelegentliches Zusammentreffen nicht aus. So habe ich noch in lebhafter Erinnerung, wie wir auf der Festwiese im Paradies als Pionierchor hinter der Bühne wartend, nicht zur Ruhe gebracht werden konnten, so dass wir die anderen Darbietungen erheblich störten, und eine der „Störerinnen“ war das schöne Mädchen Renate Feyl, mit ihren dicken schwarzen Zöpfen direkt hinter mir stehend. Zwar bekam ich mit, dass später aus der Renate Feyl eine Schriftstellerin geworden war, doch gelesen hatte ich von ihr außer ihrem Erstling, der im Rudolstädter Greifenverlag erschienen war, nichts. Umso größer war die Überraschung nach der Lektüre von „Ausharren im Paradies“. (Meine in Jena lebende Mutter hatte mir das Buch gegeben mit der Bemerkung, da stünde einiges aus meiner Kindheit drin.) Der Roman „Ausharren im Paradies“ war 1992 erschienen, doch ich nahm erst 2002 von ihm Notiz. Ich war begeistert. Ein literarisches Denkmal meiner Heimatstadt für die Zeit der späten vierziger bis Anfang der sechziger Jahre! (Danach wechselt der Schauplatz des Romans.) Ich halte das Buch für einen Schlüsselroman, und sicher kann so mancher ältere Jenaer auch die leicht verfremdeten Personen und Persönlichkeiten und Affären identifizieren. „Paradies“ – das war eben nicht nur die Metapher für den Arbeiter- und Bauernstaat, sondern auch der alte Park an der Saale, auf den Renate Feyls erste Jenaer Wohnung einen Blick hatte.
Spontan schrieb ich Renate Feyl nach der Lektüre ihres Romans, daraus ein Zitat:
„Für mich war es sehr aufschlussreich, die Zustände und Ereignisse der 50er Jahre aus einer ganz anderen Perspektive, als ich sie hatte, dargestellt zu sehen. Ich denke, es ist ein Vorteil für das Buch, dass die Autorin eine Kindheit und Jugend in „Linientreue“ hatte. Gerade das Affirmative deiner früheren Haltung – in dem Roman nicht geleugnet und auch nicht verbogen – lässt die DDR-Atmosphäre lebendig werden. Ich stelle mir vor, ich würde so einen Roman schreiben wollen (das Können mal vorausgesetzt): Da wäre von vornherein eine Gebrochenheit, ein irgendwie fremder Blick auf die politischen Verhältnisse, das Besondere meiner Sozialisation würde sich vordrängen; denn ich bin gewissermaßen als „Reaktionär“ aufgewachsen, der nichts mehr gehasst hat, und zwar schon als Sechsjähriger, als diesen Staat, von dem ich nicht genau wusste, wie er funktioniert und was eigentlich dahinter steckte, den ich aber mit Gewalt weghaben wollte. Darum auch war für mich der 17. Juni, den ich von 10 Uhr bis 18 Uhr in der Stadt verbrachte, das ersehnte und später betrauerte Ereignis meiner Kindheit. … Der Vorzug deines Romans bzw. der Haltung der Autorin liegt m.E. darin, dass keine nachträgliche Interpretation die Stimmung von damals verfärbt, von einigen ironischen Wendungen mal abgesehen, sondern Schritt für Schritt die desillusionierende Erkenntnis sich Bahn bricht.“
Den „Blick zurück und auf Jena“, wie ich meine Ausstellung nenne, ergänzt die Lesung von Renate Feyl aufs Glänzendste. Und ich hoffe, in Jena spricht es sich nun herum, dass hier ein Buch vorliegt, das in seinem ersten Teil ein literarisches Zeugnis der Entwicklung in diesem „Nest“ in den frühen Jahren der DDR ablegt. Die „Stiftung Lesen“ hat „Ausharren im Paradies“ – als Taschenbuch immer noch erhältlich! – als eines der 100 wichtigsten deutschsprachigen Bücher des 20. Jahrhunderts ausgewählt. Und jenseits der Marketingüberlegungen des Verlags, offenbar durch Mund-zu-Mund-Propaganda, findet es zunehmend mehr Leser. Da nirgendwo im Buch das Wort „Jena“ auftaucht, ist es bis heute hier noch ein Geheimtipp. Das möge sich bitte ändern! Ich freue mich auf eine Begegnung mit Renate Feyl. Ich habe sie seit meinem Weggang aus Jena im Jahr 1961 nicht mehr gesehen, und jetzt bin ich gespannt, welche Stellen des Romans sie auswählen wird.