Zwei Bilder von Paule

Rede zur Eröffnung in der Galerie Morgenland am 29. Mai 2009: Peter Paulwitz-Matthäi „handverlesen“

Zwei Grafiken gleichen Formats und gleichen Themas, gleicher Machart – ein Paar auch aus demselben Anlass geboren: „Flügel und Nieten“, „Mein Auge sieht dich an“. Diese beiden Grafiken haben ein Relief, welches ihre Entstehung dokumentiert; da hat einer geklebt, gerissen, geschnitten, pastos Farbmaterie aufgetragen, Altes durchscheinen lassen. Beim Bildermachen ist Paule ein Berserker. Kein kühles Blut, eher Kampf, schweißtreibende Selbstemotionalisierung. Wobei drei Stadien unterschieden werden müssen: 1. die Verfertigung einer Zeichnung vor Ort, 2. das mehrfache Reproduzieren dieser Zeichnung im Copyshop, teils auf farbige Papiere, 3. die Schlacht im Atelier als finales, um nicht zu sagen infernalisches, Geschehen mit allen verfüg- und greifbaren Mitteln unter absolutem Einsatz der Person in einer Einheit von Ort und Zeit – ein Drama, von dem ein zufriedenes Lächeln am Abend oder ein schweißtreibendes unzufriedenes Herumwälzen nachts im Bett künden mögen. Wer weiß, ich war nicht dabei, aber so ähnlich muss es sich abspielen, wenn ein Künstler wie Paule, Anfangsmotive verfolgend und diese durch neue anreichernd, beim Erzeugen der Schauseite des Gesamtprozesses sein Verhältnis zu sich und seiner Biografie und zur Welt wieder einmal neu definiert.

Und dann schaut es uns an, seelenruhig ist es: sein Werk, mit Sensationen angereichert, die uns einladen, es als ästhetisch Verdichtetes ein wenig intensiver zu betrachten als irgendeinen anderen attraktiven Gegenstand bzw. irgendeine andere attraktive Person. Da haben wir den Schamanen im Zimmer. Er hängt an der Wand und macht sogar Ticktack, wenn wir es wollen.

Paule breitet – im finalen Akt – meist mehrere unfertige Bilder und Varianten derselben auf großen Tischflächen aus, zwischen denen der Künstler sich bewegt. Oft sieht er die Bilder über Kopf oder seitlich, so dass etwa, was eben noch Himmel war, zum Fußboden wird. Es ist ja nicht gleichgültig, an welcher Stelle des Rechtecks sich ein Zeichen befindet. Das hat Kandinsky in seiner Schrift „Punkt und Linie zu Fläche“ wunderbar dargelegt. Das Bild tritt ja einem Menschen gegenüber, dessen ganzes Leben von der Gravitation, also einem ausgezeichneten Oben und Unten bestimmt wird, das ihn sogar noch als Toten zu Boden drückt. Und als nicht flugfähiges Wesen ist der Mensch gewohnt, alles über drei Metern Höhe als unerreichbar anzusehen. Der Europäer liest von links nach rechts, und die meisten sind Rechtshänder. Alles das wirkt sich auf die Entschlüsselung eines Bildes aus, insbesondere wenn das Bedeutete, also z.B. eine gegenständliche Abbildung, nicht vorhanden ist oder ausgeblendet werden kann. Bei diesen beiden Bildern ist letzteres der Fall, man kann sie gewissermaßen musikalisch lesen oder als eine imaginäre Landkarte. Dann sieht man Ozeane, Hafenbecken, Flussläufe, Eruptionen, Gebirgsmassive. Oder im inneren Ohr des Betrachters entsteht das, was Kandinsky „Klänge“ nannte, Klänge aus Linien, Farben, Formen. Der Vorteil der Bild-Klänge gegenüber denen der Musik: Wir Rezipienten bestimmen das Tempo selber wie auch die Reihenfolge der Klangereignisse, wir wiederholen nach Bedarf, wir lassen aus, wir springen mit ihnen nach Belieben um.

Hinter der Musik dieser Bilder verbirgt sich tatsächlich ein Schamane. Die Kreuzform weist auf die Figur. Da sehen wir den Kopf, den Sockel. Verborgen ist eine bronzene etruskische Kleinplastik. (Das wissen wir von Paule, er hat sie im Jahr 2000 im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg gezeichnet. So war das damals: Er schaute sie an, sie schaute ihn an.  Paule: „Was machst du milleniumsalter Götze, Geist der Antike, Zaubermann mit mir? Willst du heilen oder hexen? Hast du etwa meinen wunden Punkt gefunden? Na wart’, ich banne dich mit Kreidestrichen. Ich trage dich nach Hause, im Atelier mach ich dich fertig. Ich verpass’ dir Namen – nach profanen Details: ‚Flügel und Nieten’. Du Niete.“ Wochen später, der Kampf scheint vergessen: „Was guckst du? Schau mich nicht so an! – Hast gewonnen!“( Alles Verfremden half nichts.) „Zweiter Titel: ‚Mein Auge sieht dich an’.“

Lassen Sie sich ein auf die Musik dieser Bilder, ergründen Sie mit dem optischen Tastsinn die Stratigraphie – die archäologische Schichtung – dieser auratischen Objekte, dabei den Entstehungsprozess rekonstruierend. Lassen Sie ihn Revue passieren, und wehren Sie den schamanischen Blick aus der Bedeutungstiefe der Bilder ab oder ergeben Sie sich ihm. Oder machen Sie doch einfach, was sie wollen mit Paules Werken, z.B. kaufen!